Sonntag, September 02, 2018

betrachtungen 3 / die wahrheit der geschichten

Das Wesen der Fiktion ist der Traum in einer parallelen Welt. Das Buch und ich, der Text und mein Hirn, wir sind woanders, in another place and time und die Musen tanzen uns dahin.
Die großheilige Fantasie erlaubt uns, aus linearen Wörterketten Träume zu schöpfen, die wirkliche Welt können wir während der Lektüre nicht brauchen. Das dies kein blindes Problem ist, sollte klar sein, wenn wir bedenken, das unsere Lese-Träume ja auf die Welt verweisen, sie beschreiben. In irgendeiner Facette. Das schenkt uns die wirklichere Welt, der normale Vielleser ist durch seine Lektüre sehr weltlastig, weil er mehr versteht. Und lebt beim Lesen oder Schauen doch parallel.
Die parallele Welt der Romane ist gut, wenn sie mit der wirklichen Welt deckungsgleich sein könnnte. Das ist die heilige Monstranz: Wenn wir es glauben. Das, was da steht.
Gute Prosa sagt uns besser, wie die Welt ist. Fiktionen sind sonnengeborene Wesenheiten, Gespinste, die uns aufnehmen und zu Vogelscheuchen oder Giftmord zum Beispiel auch etwas zu sagen haben. Wer liest, interessiert sich für Alles, egal, was es ist. Auch das ist nicht weiter verwunderlich, der, der über so ferne Themen wie Korruption in Argentinien oder das Leben in Bergdörfern gelesen hat, wird im Leben nicht von irgendwas gelangweilt sein. Höchstens gelangweilt im Sinn von ruhiger, leiser sein, Geduld haben.
Wir leben zum Teil so sehr in fiktionalen Welten, das wir selbst zur Fiktion werden. Fernsehen, Internet, Literatur, überall wird erzählt, wie es als Mensch so wäre. Und wir verhalten uns danach ... die gängigen Narrative haben wir uns lange angeeignet ... nicht in dem Sinne, das ich einen Mord aus dem Tatort imitiere, sondern in der Art, wie wir unsere Zigaretten halten, welche Sprachmuster wir benutzen oder wie wir uns verhalten, die ewige Fiktion hat uns diese Dinge mehr normiert, als wir glauben.
Wenn die Fiktionen uns stärker prägten, als Schule, Umfeld, Familie, dann kann es nichts Sinnvolleres geben, als sich weiter von Fiktionen bilden zu lassen ...
Auch der neue James Bond-Film ist so letztlich nur ein Bildungsroman.

Donnerstag, März 15, 2018

150318 Der arme Poet

-Weil Sie nicht geholfen haben, lassen wir Sie nicht leben.
Wie soll ich geholfen haben, ich habe gelesen und geschrieben.


Der Bannfluch, unter dem die Manipulateure die Gedanken der lemurischen, halb verstorbenen Literaten gern zu Staub zermahlen, folgt nur der Logik opaken Nicht-sehen-Könnens. Was in deiner eigenen Welt leben heißt, können dir die Leute, kann Jedermann dir nicht sagen. Die Leute kennen nur das Pandaimonion des jeder gegen jeden, wir kämpfen im Höchstfall um narrative Lösungen für die Pandemie der erzählerischen Probleme oder um möglichst gelungene Tiefenanalysen von Textflächen. Erkläre das mal der gegen alle übertrieben wehrbereiten Hausfrau von nebenan ...

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Das idiomische Verhaspeln, das in zu kurzen Gedanken kleinbürgerlich über uns bestimmen will, das stereotype Verkennen des Einzelnen, der sich selbst genug ist, weil er Bücher hat und Literatur macht, ist komisch, die erreichen uns nicht und viele sind mindestens neidisch. Die Pastille der Volkserregung wollen wir aber nicht schlucken. Und weil wir sie ausspucken, mögen sie uns nicht ...

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Als Literat den Frieden leben.  In einer Welt, in der alle streiten, ist das sonderbar ... weil aber ohne Frieden kein literarisches Arbeiten möglich ist, zumindest gilt das für mich, leidet das Lesen und Schreiben unter der universalen Schlacht alle gegen alle sehr. Wenn der kleinbürgerliche Krieg der Vater aller Dinge sein soll, ist die großherzige  Muse die Mutter, Geliebte und Schwester aller armen Poeten. Wer kämpft, verliert ... zumindest Zeit zum Arbeiten ...

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Kaum jemand liest ... wir sind die Kaste der Wissenden in Hierarchien aus Unwissenheit. ... Es gibt schon ganze Städte ohne Buchhandlungen, wenn die 90 % so weiter machen, müssen wir bald in gesonderten Bussen fahren oder dürfen nicht mehr vor Nichtlesern etwas sagen ... weil sie sonst hauen und stechen ...

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